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Was Kinder brauchen

25.03.2014 13:15

Zusammenfassung des Vortrags

Was Kinder brauchen- neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung

von Gerald Hüther, Jokers edition, Auditorium-Netzwerk 2006

Früher war Lernen so organisiert, dass Einer, meist der Lehrer es besser wusste und dieser sein Wissen weiter gab. Schule war organisiert wie eine Lernfabrik, in der Menschen ausgebildet wurden, die im Zeitalter der Industrialisierung oder als Soldaten im Krieg funktionieren mussten.

Das alte Schulsystem ist längst im Umbruch, jedoch weiß man erst seit etwa 10 Jahren (seit es bildgebende Verfahren zur Analyse des Gehirns gibt) mehr über die Art und Weise wie wirklich gelernt wird. Das „System Lernfabrik“ nicht jedoch immer noch nicht wirklich durch ein neues ersetzt worden. Studien ergaben, dass nur 10% des in der Schule gelernten Wissens auch nachhaltig behalten wird.

Erkenntnisse der Gehirnforschung, der Entwicklungspsychologie und der Lernforschung zeigen uns nach und nach unter welchen Bedingungen Lernen nachhaltig funktioniert.

Zum Beispiel muss im Gehirn das Belohnungssytem (dopaminärge System) angeschaltet werden, das heißt, Begeisterung muss mit dabei sein. Wenn etwas mit Begeisterung getan werden kann, prägen sich die Erfahrungen als Verschaltung mithilfe der Neurotransmitter im Hirn besonders gut ein. Durch die dabei entstehenden Eiweißverbindungen bilden sich Synapsen. Ein Kreislauf, der durch die Neugier angeregt wird, entsteht. Daraus entwickelt sich dann Lernlust. Wenn die Herausforderung erfolgreich bewältigt wird, entsteht daraus eine positive Erwartung für weitere Herausforderungen und so kann ein emotionaler Flow entstehen, der den Kreislauf immer wieder von neuem anregt. (Beispiele- Kind lernt Kopfsprung ins Wasser machen und wiederholt das 100 Mal)

Leben bedeutet Probleme lösen. Je größer die übergeordneten Muster im Gehirn sind, das heißt je mehr Vernetzungen durch positiven Erfahrungen gemacht wurden, desto besser können Probleme gelöst werden. Jede neue Lösung führt dazu, dass die Konektivität im Gehirn weiter verstärkt wird.

Leider erfahren immer noch viel zu viele junge Menschen das Gegenteil, wenn sie in der Schule lernen. Sie scheitern bei der Bewältigung der vom Lehrer gestellten Aufgaben, bekommen Selbstzweifel, machen negative Erfahrungen, entwickeln eine Strategie der Vermeidung, die mit Angst gekoppelt ist und geraten dadurch in einen Teufelskreis, der mit den Selbstzuschreibungen endet: Ich kann nichts, ich bin dumm, mich liebt keiner, alles ist umsonst usw.

Aufgaben, an denen man wachsen kann, sucht man sich dort, wo man auf eigene Faust etwas entdecken kann, wo man sich etwas erschließt- das findet meist in Räumen, die frei sind von Erwachsenen, die alles besser wissen, statt- wo man Abenteuer bestehen muss, Verantwortung übernehmen kann.

Da heute diese Räume in der Natur kaum noch zugänglich sind für Kinder, suchen sie sich in den virtuellen Welten solche Möglichkeiten.

Begegnung im Now-Moment
Wenn sich zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen, wird die Vorraussetzung geschaffen, um einen kreativen Prozess in Gang zu setzen und eine Weiterentwicklung zu bewirken. (Beispiel Therapeut und Patient)

Das Imitationslernen durch die Spiegelneuronen funktioniert nur da, wo ein Vorbild bedeutsam ist. Dann bildet man im eigenen Geist ein Spiegelbild ab. Man übernimmt z.B. die Handlungsmuster eines Elternteils, ohne sich dessen bewusst zu sein.


Möglich ist auch, dass archaische Programme, welche tief im Unterbewusstsein verankert sind, wie z.B. eine Spinnen- oder Schlangenphobie, aufgelöst und überlagert werden können, wenn der Vater z.B. ein Schlangenzüchter ist, d.h. als wichtige Bezugsperson als Vorbild dient.

Die Bedeutung des Frontalhirns oder Präfrontalen Kortex
Hier ist die Ich-Funktion verankert, das Selbstwirksamkeitskonzept entsteht hier.
Die Fähigkeit Leitbilder zu entwickeln, Orientierung zu finden, Motivation zu entwickeln, Ziele zu haben, Verantwortung zu übernehmen, das sich Hineinversetzen in Andere wird hier verankert, das hochkomplexe System des Folgen-Abschätzens und der Impulsunterdrückung werden hier gelernt. Dieser Teil des Hirns ist eine Besonderheit des Menschen. Lange wurde er nicht beachtet und erkannt. Heute weiß man, dass menschliches Zusammenleben nur funktioniert, wenn der Präfrontale Kortex gut ausgebildet ist. Diese Fähigkeiten, die man auch unter Soft-Skills zusammenfasst,  kann man nicht als Schulfach unterrichten, sondern jeder Mensch muss selber Erfahrungen machen, die ihn diese Fähigkeiten entwickeln lassen. Heute spricht man von dem Begriff der Achtsamkeit, die man sich erarbeiten muss, um die oben genannten Fähigkeiten entwickeln zu können.

Im 6. Lebensjahr blüht das Frontalhirn auf. Was jetzt strukturiert werden kann bleibt bestehen, der Rest verkümmert.

Erwachsene müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass Kinder diese Erfahrungen machen können. Sie können ihnen beispielhaft zeigen, wie man Überlegungen und Planungen anstellt, wie man sich hineinversetzt in Andere. Eine Feinmotorik kann man nicht unter Druck lernen.
Man braucht dazu Vertrauen, emotionale Sicherheit, Muße, Ruhe, innere Bereitschaft. Erst dann ist man offen dafür.

Die emotionale Sicherheit ist das Fundament auf dem sich die Neugier entwickeln kann, die Motorik verfeinern kann, Wissen angeeignet und Erfahrung gemacht werden können, soziale Beziehungen aufgebaut werden können und die Wahrnehmungsfähigkeit entwickelt werden kann.

Emotional unsichere Kinder haben keinen Zugang dazu, da ihre unsichere Beziehung sie dazu zwingt, sich selber innerlich zu stabilisieren, was ihren Handlungsspielraum einschränkt.

Ein Angstkreislauf kommt zustande, wenn immer wieder neue Anforderungen gestellt werden, denen man sich nicht gewachsen sieht, wenn falsche Erwartungen da sind und Gefühle verletzt werden. Das alles führt zu psychischer Erregung, die Stress und Angst erzeugt. Ist diese Herausforderung nicht kontrollierbar, entsteht daraus eine seelische Belastung, wodurch Stresshormone (Cortisol) ausgeschüttet werden. Das führt zur Ausschüttung von Glutamat aus dem Hypocampus. Dadurch ziehen sich die Fortsätze der Nervenenden ein. Angst erzeugt im Gehirn diffuse Reaktionen, die nicht mehr steuerbar sind. Findet ein Schrumpfungsprozess der Nervenenden statt, so ist das nicht unwiderruflich, denn sie können unter besseren Bedingungen auch wieder neu verschaltet werden. (Der intensive Genuss von glutamathaltigenen Lebensmitteln wieTütensuppen, Chips u.ä., kann ebenfalls Schrumpfungsprozesse begünstigen.

Durch Angstzustände entsteht im Hirn eine diffuse Erregung die den Kortex lähmt. Dann können nur ältere Muster genutzt werden. Das sind die archaischen Notfallprogramme Angriff, Flucht, Erstarrung.
Dann hilft eine Psychotherapie, die das verloren gegangene Vertrauen in sich, in Andere und in die Welt wieder herstellt.

Bewältigungsstrategien für Stresssituationen
Stress kann durch viele Strategien bewältigt werden: Wissen, Kompetenz, Leistung, Macht, Reichtum, Status (Auto), Ablenkung (Fernsehen), Aufregung (Krimi. Horrorvideo), Essen (Serotoninärges System kommt in Gang durch Kohlehydrate und Fett- wirkt ähnlich wie Antidepressiva), Fasten, Drogen, Medikamente, Bindung, Sport u.v.a.
Wenn eine solche Bewältigung dann häufig benutzt wird, weil der Stress nicht nachlässt, wird im Gehirn immer wieder Dopamin dabei ausgeschüttet, woraus dann psychische Abhängigkeiten entstehen können, die als Sucht erfahren werden.

Je schlechter die Beziehungsfähigkeit, desto größer die Gefahr, in diesen Kreislauf zu geraten. Auf der Suche nach Geborgenheit suchen sich Kinder und Jugendliche Peergroups, oder passen sich an die Bedürfnisse der Eltern an. Sie werden gezwungen, Maßstäbe zu erfüllen, damit sie dazu gehören dürfen. Solche frühen Prägungen sind z.B. Perfektionismus, Altruismus, Narzissmus, Konkurrenzkampf, Leistungsorientiertheit...

Eine besonders schlimme Stresssituation entsteht durch Missbrauch. Dabei brechen sämtliche Ressourcen des Kindes zusammen.

Die drei wichtigsten Ressourcen zur Stabilisierung sind 1. Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, 2. Vertrauen in andere Menschen, die helfen können und 3. das Urvertrauen, dass alles gut wird, weil man sich tief im Innern aufgehoben fühlt.
Fehlen die Grundvoraussetzungen auch nur teilweise, so kann das dazu führen, dass selbstverletzendes Verhalten entsteht. Das Kind ist allein auf sich gestellt (Vernachlässigungsphänomen).

Verwöhnung ist die schlimmste Form des Missbrauchs. Wird einem Kind kein Raum gegeben, eigene Erfahrungen zu machen, kann es nicht lernen Ressourcen aufzubauen, entwickelt kein Selbstvertrauen, und kann die Erfahrung, dass Andere helfen können, wenn man alleine nicht weiter kommt nicht machen. Wenn es dann auch keine übergeordnete Instanz gibt, die signalisiert, dass alles wieder gut wird, dann führt das u.U. zu Borderlineerkrankungen. Wird man in solche Strukturen hineingedrängt, glaubt man am Ende, dass man selber so ist.

Ein vertrauensstärkendes Bild für Kinder ist das Bild einer für sie sicheren Insel, zu der sie sich flüchten können, wenn sie Angst haben. Dann kühlt das Gehirn herunter und die Denkprozesse können wieder einsetzen.

 

Heute sind viele familiäre Strukturen aufgelöst. Die engen Strukturen und festen Regeln konnten sich so lange erhalten, weil Kriege, Notstände, Flucht und Vertreibung die Menschen dazu zwangen. Heute gibt es diesen äußeren Zusammenhalt nicht mehr, aber auch ein inner Halt fehlt den Menschen. Es bedarf einer inneren Haltung, aus der heraus man zum Beispiel nicht essen muss, auch wenn Essen im Überfluss vorhanden ist, oder nicht endlos konsumieren muss, obwohl der Markt uns ständig verführt. Wir haben heute ungeahnte Freiheiten und Möglichkeiten, aber müssen lernen damit so umzugehen, dass sie uns und Anderen nicht schaden. Dazu gehört auch die Verantwortung für die Ressourcen
unserer Erde.

Für unsere fluide Postmoderne Gesellschaft, die von Ängsten angetrieben ist und bei der die depressiven Störungen massiv zunehmen, bedarf es eines Boundary-Managements. Wenn es gelingt, die Welt als verstehbar, vorhersehbar, handelbar, bedeutungs- und sinnvoll zu erleben, dann führt das zu einer Gesundung unserer Gesellschaft.

Schlussbemerkung:
Die Liebe ist die einzige Kraft, die es ermöglicht, dass ein Mensch wachsen darf und sich gleichzeitig verbunden fühlen kann.

 

 

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