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Kinder brauchen Wurzeln

02.09.2012 18:35

So heißt der Titel eines sehr aufschlußreichen Buches von Karl Gebauer und Gerald Hüther. Es ist im Verlag Patmos in der 6. Auflage 2011 erschienen.
Der Untertiltel  "Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung" deutet  auf einen neuen Ansatz  in der Förderung von Kindern hin.
In dem Buch geht es vor allem um das Thema Bindungssicherheit.  Es wird genau beschrieben, wie das Gefühl der Bindung und Verbundenheit schon im Mutterleib entsteht und dass es für alle Menschen lebenswichtig ist. Hüter erläutert die Gehirnentwicklung im Zusammenhang mit Bindungserfahrungen.
Besonders wichtig für die Bindungssicherheit ist nach Hüther und Gebauer die Sprache. Wenn Bindungserfahrungen nicht sprachlich artikuliert werden können, liegen sie außerhalb des Bewußtseins. Negative Bindungserfahrungen können dann nicht ausgedrückt werden und die Gefühle dazu sind deshalb nicht beherrschbar. Oft sind die psychischen Mechanismen jedoch auch unbewußt aktiv. Es gibt 3 Mechanismen, die das Verhalten unbewusst beeinflussen können:

1. Vorfälle, die Eltern lieber verheimlchen würden, die das Kind aber erlebt 
2. elterliche Verhaltensweisen, die so schlimm gewesen sind, dass das Kind sie verdrängt 
3. tatsächliche oder phantasierte Handlungen, die beim Kind unerträgliche Schuld- oder Schamgefühle auslösen.
Allgemein gilt: 
"Jede Diskrepanz zwischen realen Erfahrungen und ihrer Bedeutungszuweisung durch Schweigen, Lügen, Verunglimpfung, falsche Darstellung, Bedrohungen durch die Bindungsperson, die das Vertrauen der Kinder mißbrauchen, kann den Aufbau internaler stimmiger Verarbeitung dieser realen Erfahrungen bei den Kindern verhindern." (S.47, Hüther und Gebauer, Kinder brauchen Wurzeln)
Es werden anschließend verschiedene Arten von Bindungsstörungen auch von anderen Autoren erörtert und über die Auswirkungen emotionaler Bindungsunsicherheit geschrieben. (Mißhandlung und Mißbrauch, Therapie bei Bindungsstörungen, Entstehung und Verhinderung von Gewalt in Familien, u.a.)

Es gibt 3 Arten von Bindungserfahrungen:
1. Wenn Mütter oder Väter feinfühlig auf die Bedürfnisse und Ziele ihres Babys eingehen, erleben die Säuglinge Bindungssicherheit.
2. Wenn sie ein indiferentes Verhältnis zu ihren Kindern haben, sie den Wunsch nach Nähe und Zuwendung nur hastig oder mit Widerwillen entgegnen, jedoch beim Alleinspiel die Kinder positiv motivieren, entsteht Bindungsunsicherheit.
3. Wenn sie nur auf unvorhersehbare Weise verfügbar sind, sich von Launen leiten lassen oder mit sich selbst beschäftigt sind und keinen Zugang zum Kind entwickeln können, entstehen Bindungsstörungen mit Folgen.

Es wird weiterhin auf den Einfluß gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf die kindliche Entwicklung eingegangen.
Ein besonders wichtiges Kapitel scheint mir "Beziehungsfähigkeit als Voraussetzung für Friedensfähigkeit von Kindern und Jugendlichen" zu sein. 

Wenn das Fach Erziehung ein Schulfach wäre, das zur Grundausbildung jedes Schülers gehörte, dann müßte Bindungssicherheit ein wichtiges Kapitel darin sein. Denn wenn wir verstehen, was es bedeutet, wenn in unserer Kindheit diese Voraussetzungen nicht für uns geschaffen wurden, dann verstehen wir auch unsere jahrzehntelange oft vergebliche Suche nach etwas, was wir vorher nie beschreiben konnten. Auch später können diese Lücken durch Verständnis und Wissen geschlossen werden und Wunden dadurch geheilt werden. Dieses Wissen würde einen wichtigen Beitrag zu einer gesünderen und friedvolleren sozialen Gemeinschaft liefern.

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